Die NeXT-Story

Als Apple 1996 NeXT kaufte, kauften sie eigentlich Steve Jobs zurück. Mit ihm kam eine Technologie, die ihrer Zeit weit voraus war. Diese Übernahme rettete Apple vor dem Bankrott und legte den Grundstein für das heutige iPhone, das iPad und den Mac.

1985

Die Gründung von NeXT

Steve Jobs verließ Apple unfreiwillig im Mai 1985, nahm sieben seiner wichtigsten Entwickler mit sich und band später Top-Talente wie Avie Tevanian und Scott Forstall an das Unternehmen.

Jobs' Charisma war ein wichtiger Rekrutierungsfaktor. Archibald Horlitz (Gravis-Chef) erinnerte sich an Jobs' charmante, überzeugende Einstellungsgespräche (Deutsches Interview).

1985

NeXT-Aufstieg: Tevanian kam im Januar 1988 als Ingenieur zum NeXTSTEP-Team. Er stieg schnell in den Rängen auf und leitete die Betriebssystemgruppe, die für die NeXTSTEP-Entwicklung und technologische Fortschritte verantwortlich war.

Er führte ein Team, das NeXTSTEP auf RISC-basierte Systeme portierte und die Portable Distributed Objects (PDO) entwickelte – eine NeXT-Technologie, die die Softwareentwicklung über mehrere Betriebssysteme hinweg ermöglichte. Im März 1995 wurde er zum Vizepräsidenten der NeXT-Entwicklung ernannt und berichtete direkt an Gründer und CEO Steve Jobs.

Als anerkannter Pionier in der Schaffung weltweit genutzter Cross-Plattform-Entwicklungsumgebungen leitete Tevanian die Ingenieurteams, die NeXTs Produkte preisgekrönt und bewährt machten.

Rolle bei Apple: NeXT wurde 1997 von Apple Computer übernommen, wo Tevanian bald Chief Software Technology Officer wurde. Er war die Schlüsselfigur bei der Adaptierung von NeXTSTEP zu dem später Mac OS X (heute macOS) werden sollte. Er wurde auch Mitglied des Vorstands des Unternehmens für embedded Software-Tools, Green Hills Software.

Avie Tevanian über NeXT und Apple

Avie Tevanian – Die Gründung von NeXT

1985

Forstall stand vor der Entscheidung zwischen Microsoft und NeXT. NeXT beeindruckte ihn mit seiner fortschrittlichen Technologie, litt jedoch unter mangelnder Kundenbasis. Der Bewerbungsprozess bei NeXT war intensiv: An einem einzigen Tag führte er Gespräche mit 17 verschiedenen Personen. Während des ersten Interviews unterbrach Steve Jobs dieses nach etwa zehn Minuten, zog den Interviewer mit in den Flur und diskutierte lebhaft mit ihm. Forstall blieb zurück und wartete, bis Jobs zurückkam, um das Gespräch persönlich fortzuführen. Schon nach 15 Minuten war klar: Beide verband eine gemeinsame Vision in Design, Philosophie und technologischen Zielen.

Jobs machte Forstall unmissverständlich deutlich, dass er ihm am Ende des Tages ein Angebot unterbreiten würde – unabhängig von den anderen Gesprächen. Dennoch bat er ihn, aus Respekt den Rest der Interviews mit Interesse zu absolvieren. Mit einem selbstbewussten Blick fügte Jobs hinzu, dass er keine Zweifel an Forstalls Zusage habe.

Am Folgetag, nach seiner Absage an Microsoft, entdeckte Forstall vor seiner Tür ein Päckchen: einen toten Königslachs mit Microsoft als Absender. Er deutete dies als skurrile Einschüchterungstaktik und kontaktierte seinen Microsoft-Ansprechpartner, um die Bedeutung zu hinterfragen. Die Erklärung? Ein ungewöhnlicher Versuch, ihn durch die Exklusivität des nur in Seattle erhältlichen Fischs doch noch umzustimmen.

Forstall bereitete den Lachs zu, verspeiste ihn – und entschied sich für NeXT. Es folgte eine 20-jährige Zusammenarbeit mit Steve Jobs.

Scott Forstall über das iPhone-Debüt

1986

Der Mach-Kernel

Als Betriebssystem-Grundlage wählte NeXT den Mach-Kernel der Carnegie Mellon University, der bereits auf Unix basierte. Dies war ein entscheidender Schritt.

Der Mach-Kernel war ein Microkernel, der im Vergleich zu monolithischen Kernels mehr Stabilität bot, da Prozesse voneinander isoliert waren. Er ermöglichte fortschrittliches Multitasking und war die Basis für die spätere Adaption des Darwin-Kernels in macOS.

1986

Objective-C und Frameworks

NeXTSTEP setzte von Anfang an auf die Objektorientierte Programmierung (OOP) mittels der Sprache Objective-C. Dieses Konzept ermöglichte die schnelle Entwicklung komplexer Anwendungen.

Die zugehörigen Basis-Frameworks, später bekannt als Cocoa (AppKit für das UI, Foundation für die Basis), reduzierten den Code-Aufwand für Entwickler massiv, da viele Standardfunktionen bereits vorkonfiguriert waren.

Die Entscheidung für OOP war damals revolutionär und schuf einen enormen Produktivitätsvorsprung gegenüber den konkurrierenden Workstations.

1986

Display PostScript (DPS)

NeXT integrierte Display PostScript (DPS) in seine Grafikarchitektur. PostScript war die Sprache, die Laserdrucker zur genauen Wiedergabe von Text und Grafik verwendeten.

Durch DPS konnte die Darstellung auf dem Bildschirm und der Ausdruck auf dem Drucker exakt übereinstimmen ("What You See Is What You Get" in Perfektion). Dies war ein Muss für Jobs' Fokus auf den Bildungs- und DTP-Markt.

1987

Revolutionäre Entwicklung: Der Interface Builder

Der Interface Builder (IB) war NeXTSTEPs größter Beitrag zur Software-Entwicklung. Es war der erste kommerzielle Drag-and-Drop-Editor für grafische Benutzeroberflächen.

Entwickler konnten UI-Elemente wie Buttons, Fenster und Menüs visuell anordnen und diese direkt mit dem Code (Objective-C) verknüpfen. Dies reduzierte den Code-Aufwand für Entwickler massiv – eine Produktivität, die weit vor ihrer Zeit lag.

Der IB ist der direkte Vorläufer von Apples heutigem Xcode Interface Builder und SwiftUI Previews, da er das Konzept des visuellen Codings etablierte.

1987

Design-Perfektion: Der ikonische Würfel und seine Herstellung

Jobs beauftragte den legendären Designer Paul Rand mit der Gestaltung des Logos und das ikonische schwarze Würfel-Gehäuse schuf der deutsche Designer Hartmut Esslinger (Frog Design).

Das Gehäuse aus Magnesium-Legierung war auf Jobs' Verlangen innen und außen mit ungiftigem, wasserlöslichem Schwarzlack lackiert, was dem Rechner seinen berühmten "schwarzen Monolithen"-Look verlieh.

Wegen der unnachgiebigen Forderung nach exakt 90°-Winkeln mussten die Seitenwände aufwendig hergestellt und geschweißt werden – ein teurer und seltener Herstellungsprozess.

Der fast perfekte Würfel: Das Gehäuse ist geringfügig kürzer als ein exakter Fuß (30,5 cm). Jobs soll dies damit begründet haben, dass ein perfekter Würfel für das menschliche Auge nicht wie ein Würfel aussehe.

1988

Der NeXT Computer: Revolutionäre Hardware und Specs

Der unter dem Namen NeXT Computer (später NeXTcube) veröffentlichte Rechner war Jobs' Versuch, ohne Apple-Interferenzen einen revolutionären High-End-Computer zu schaffen. Er wurde am 12. Oktober 1988 auf einer spektakulären Veranstaltung in der Davies Symphony Hall vorgestellt.

Vorstellung des NeXT Computer in der Davies Symphony Hall

Bei seinem ersten großen öffentlichen Auftritt, drei Jahre nach seinem Ausscheiden bei Apple, stellte Steve Jobs den NeXT-Computer vor.

Wichtige Hardware-Details der Workstation:

  • sie startete mit einer 25MHz Motorola 68030 CPU
  • bis zu 64MB RAM
  • ungewöhnliches (für die damalige Zeit) 256MB Magneto-optisches Laufwerk
  • NeXTSTEP, ein Mach-Kernel basiertes Betriebssystem mit einzigartigen Developer-Tools

Jobs und das frühe NeXT Team

Dieses Material zeigt Steve Jobs und das frühe Team bei einer intensiven Diskussion über das Gehäusedesign.

1988

Hoher Preis und fehlende Software

Der hohe Preis von $6.500 für den NeXT Cube war den meisten Interessenten zu viel. Zudem gab es für die leistungsfähige Workstation damals noch kaum Software.

Aufgrund dieser Faktoren fanden Jobs und NeXT nur wenig Käufer für die teure Hardware. Insgesamt wurden nur rund 50.000 Systeme abgesetzt.

[Bild des NeXT Cube]
1990

Der unbeabsichtigte Erfolg: Das World Wide Web

Unter den europäischen NeXT-Anwendern war der britische Wissenschaftler Tim Berners-Lee. Er entwickelte auf einem schwarzen NeXT Cube am Forschungszentrum CERN in Genf das Konzept des World Wide Web und den ersten Browser (WorldWideWeb).

Er wählte NeXTSTEP ausdrücklich wegen der hohen Produktivität, die die objektorientierten Entwicklertools boten – eine schlagende Bestätigung der Leistungsfähigkeit der NeXT-Software.

Video-Platzhalter: Erste Demo des WorldWideWeb Browsers auf NeXTSTEP.

YouTube-Link hier einfügen (z.B. Archivmaterial)
1990/91

Die NeXTstation: Der Versuch, günstiger zu werden

Die NeXTstation kam auf den Markt. Mit einem "Pizza-Box"-Design war sie flacher und billiger. Später folgte die NeXTstation Color, die das erste Farberlebnis auf der Plattform liefert.

Fehlschlag: Obwohl die Preise sanken, konnte NeXT aufgrund der starken Konkurrenz durch Workstation-Hersteller wie Sun und kostengünstige Windows-PCs nicht genug Marktanteile gewinnen.

1993

Finanzielle Krise: Ende der Hardware-Ära

Das Unternehmen verbrannte bedenklich viel Geld – und Jobs' finanzielle Reserven gingen langsam zu Neige.

Jobs zog die Notbremse: Er entließ viele Mitarbeiter und stellte die Hardware-Produktion komplett ein.

Der NeXT Cube war Geschichte; die Zukunft des Unternehmens lag nun ausschließlich in seiner Software.

1993

Die Wiedergeburt: NeXTSTEP als reine Software-Firma

NeXT fokussierte sich jetzt allein auf die Vermarktung der Software NeXTSTEP 3.x und ihrer bahnbrechenden Komponenten, insbesondere des Interface Builder und der objektorientierten Frameworks.

Wie ein Treppenwitz der Geschichte brachte Jobs diese strategische Konzentration auf die Software-Entwicklung später wieder bei seinem alten Unternehmen Apple ins Spiel.

1994

Der Aufstieg von WebObjects und OPENSTEP

NeXT veröffentlichte OPENSTEP, eine standardisierte, plattformunabhängige Version des NeXTSTEP-APIs. Die wichtigste neue Software war WebObjects, eines der ersten Webanwendungs-Frameworks. Es wurde schnell zur wichtigsten Einnahmequelle von NeXT.

Erfolg: WebObjects war so fortschrittlich, dass Apple es nach der Übernahme für den Betrieb des Apple Online Stores nutzte und es bis weit ins 21. Jahrhundert hinein pflegte.

1996

Die Rettung Apples durch NeXT

Apple kaufte NeXT für 429 Millionen US-Dollar und 1,5 Millionen Aktien, um an das zukunftssichere Betriebssystem OPENSTEP zu gelangen und das eigene OS-Dilemma zu lösen.

Der Kauf brachte Steve Jobs als inoffiziellen Berater zu Apple zurück – der erste Schritt zu seiner zweiten Ära.

Video-Platzhalter: Steve Jobs spricht über die NeXT-Technologie bei Apple.

YouTube-Link: Steve Jobs Keynote (z.B. Archivmaterial)
2001 & Heute

Der Kern lebt weiter: macOS & iOS

Mit der Veröffentlichung von Mac OS X (2001) wurde das NeXT-Erbe zur Grundlage des modernen Apple. Der Unterbau (Darwin-Kernel) und die Entwickler-Frameworks (Cocoa) sind direkte Fortsetzungen von NeXTSTEP/OPENSTEP.

Heute bilden diese Kerntechnologien das Fundament aller Apple-Betriebssysteme (macOS, iOS, watchOS etc.). Das wegweisende Interface Builder-Konzept lebt in Xcode weiter.

Spezial: Steve Jobs nannte die NeXT-Übernahme später "die klügste Entscheidung, die Apple je getroffen hat".